Kultur

Festbrief 1999

Zu Ihrem Festtag

 

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Zu Ihrem Festtag gratuliere ich herzlich und wünsche Ihnen frohe und harmonische Stunden mit Menschen, die Ihnen lieb und wichtig sind.

Ihr Festtag liegt in einer besonderen Zeit. Haben Sie schon daran gedacht?

Mit diesem Jahr geht ein Jahrtausend zu Ende. Noch stehen wir in unserem Jahrhundert, das wir mit unserer Arbeit, mit unserem Denken und Handeln mitgestalten. Aber schon haben wir die Weichen für die Zukunft gestellt und bauen Brücken ins dritte Jahrtausend.

Mit diesem Festbrief möchte ich Sie auf eine Gedankenreise rund um die Zeit mitnehmen und natürlich auch wieder auf einen Spaziergang in Braunschweig neugierig machen.

Eine Glocke hat Geburtstag. Die Vaterunser-Glocke unserer St. Katharinenkirche wird 500 Jahre alt.

Sicherlich haben Sie im vergangenen Advent diese Meldung in der Braunschweiger Zeitung gelesen oder im Radio gehört. Aber vielleicht ist das Besondere daran in der geschäftigen Vorweihnachtszeit verlorengegangen. Ich bin von dem gemeldeten Ereignis so beglückt und für uns Braunschweiger so erfreut, daß ich noch einmal daran erinnern möchte:

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Die Gemeinde von St. Katharinen hat es nicht dabei bewenden lassen, das Jubiläum ihrer 500 Jahre alten Glocke zu feiern. Sie hat etwas Dauerhaftes daraus gemacht, das "sich hören läßt". Seit Anfang des Jahres 1999 ertönt die Vaterunser-Glocke jetzt wieder wie früher dreimal am Tag. Morgens um acht, mittags um zwölf und abends um sechs Uhr läutet sie eine halbe Minute lang vom Turm der Katharinenkirche.

Wie durch ein Wunder hat die Vaterunser-Glocke - die älteste der sechs Turmglocken von St. Katharinen - auch den letzten Krieg überlebt, konnte dank der tatkräftigen Hilfe der Braunschweigerinnen und Braunschweiger restauriert und mit einer neuen Turmuhr verbunden werden. Jetzt erinnert sie mit ihrem Läuten an alte Zeiten, in denen Glocken vom Kirchturm das Tagwerk der Menschen einteilten und hinter Klostermauern den Wechsel von Gebet und Arbeit regelten. Und gleichzeitig ist die alte Vaterunser-Glocke lebendige Gegenwart für unsere Stadt und ihre Menschen. Dreimal am Tag läßt sie sich hören. Wir werden von ihr angeläutet, was sonst in unserem Tageslauf nur per Telefon, Fax und Türglocke geschieht.

Die neuen alten Glockentöne vom Katharinenturm kommen durch Straßenlärm, Stimmengewirr und Verkehrsgetöse auf uns zu. Sie läuten Menschen an, die unterwegs sind, vorbei eilen oder bummeln, gleichgültig bleiben oder aufmerksam werden auf den Wohlklang inmitten von Geräuschen. Für jeden, der hinhört, hat die Glockenstimme eine persönliche Nachricht.

habe ich herausgehört? "Paß auf Deine Zeit auf!", läutet es mich an und macht mir wieder bewußt: es liegt auch an uns, wie unsere Zeit eingeteilt ist, ob für nichts und niemanden, ob für andere, ob für uns selbst, ob für Gott. Eine halbe Minute lang läutet die Katharinenglocke - das ist die Dauer eines Vaterunsers.

Was da von uns verlangt wird, ist nicht leicht: unsere Aufgabe im Leben zu erfüllen, mitzuhelfen, mitzudenken, mitzugestalten und dabei mit unserer Zeit richtig umzugehen. "Meine Zeit steht in Deinen Händen." Mit den Worten des 31. Psalms bitten wir Gott um Kraft, Zuversicht und Gelassenheit, um uns den Herausforderungen jedes neuen Tages stellen zu können.

Unser Reformator MARTIN LUTHER hat seine Zuversicht und Gelassenheit in das unübertreffliche Bild gefaßt: "Und wenn ich wüßte, daß morgen die Welt unterginge, so würde ich doch heute mein Apfelbäumchen pflanzen."

Mit Worten unseres Jahrhunderts notierte der Dichter-Arzt GOTTFRIED BENN auf einen Rezeptblock: "Ich stehe hier in meinem Apfelgarten und kann den Untergang getrost erwarten - ich bin in Gott, der außerhalb der Welt noch manchen Trumpf in seinem Skatblatt hält - wenn morgen früh die Welt zu Bruche geht, ich bleibe ewig sein und Sterne-stet."

Das ist auch meine Zuversicht! Damit grüße ich Sie, wünsche Ihnen glückliche Begegnungen mit unserer Vaterunser-Glocke und würde mich freuen, auch einmal von Ihnen etwas darüber zu hören.

In Verbundenheit

Ihre Erika Schuchardt

 


 

Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir,
dort gehet schon der Tag herfür
an meinem Kammerfenster.
Es wühlet mein verstörter Sinn
noch zwischen Zweifeln her und hin
und schaffet Nachtgespenster.
- ängste, quäle
dich nicht länger, meine Seele!
Freu dich! Schon sind da und dorten
Morgenglocken wach geworden.

EDUARD MÖRIKE
1804-1875

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Ich kann so einsam sein,
daß ich dich im Gewühle
der Großstadt nahe fühle.
Wir sind oft nur zu zwein.
Inmitten Lärm und Sturm,
auf meiner lauten Reise
streift mich unhörbar leise
dein Hauch. Da hallt vom Turm
ein heller Glockenschlag,
den Engelschwingen stufen.
Ich weiß mich angerufen
von deinem ewigen Tag.

ARTHUR SILBERGLEIT
1881-1943 † Ausschwitz