Dr. Doris Maurer, Literaturwissenschaftlerin, Sachbuchautorin und Journalistin, Bonn, 2013
Hadern mit Gott hat Befreiungscharakter ... ein Buch das Mut macht
Was geschieht mit mir, wenn ich erfahre, dass ich an Krebs erkrankt bin, der nicht mehr behandelbar ist? Wie reagiere ich, wenn ich ein körperlich oder geistig behindertes Kind zur Welt gebracht habe? Was löst der plötzliche Tod eines von mir geliebten Menschen aus? Wie kann ich damit umgehen, wen ich – etwa durch einen Unfall – so schwer verletzt bin, dass ich arbeitsunfähig werde? Wie gehe ich mit einer Depression um, die mich wie eine Welle überrollt? Erika Schuchardt hat unzählige Gespräche mit den Opfern unerwarteten Leidens geführt. Bei fast allen Betroffenen lässt sich eine vergleichbare Verhaltensspirale feststellen. Zunächst herrscht bei vielen Erkrankten eine beunruhigende oder auch gewollte Ungewissheit, dann folgt der Schock der Gewissheit, der individuell lange andauert. Wenn dann die Aggression auftritt, die erwünscht ist, um sich aus de Erstarrung zu befreien, und die Wut, kann eine Art von Neubesinnung beginnen. Eine schwer depressive Pfarrerin sagt beim Gespräch: „Denn wir Menschen ertrinken in unseren ungeweinten, verborgenen Tränen.“ Die nächste Phase „Verhandlung“ ist oft gekennzeichnet durch endlose Konsultationen bei Ärzten, sogar Wunderheilern. Viele der Befragten haben sich dadurch finanziell ruiniert. Meist folgt dann die Depression, bis es zur Annahme der Leidenssituation kommt. Wenn dann doch wieder Aktivität folgt in z.T. vorher unbekannten Lebensbereichen und die von Mitmenschen entgegengebrachte Solidarität ist die Spirale abgeschlossen. Besonders berührend sind die Gespräche mit leidenden, religiösen Menschen, die nicht mehr glauben können oder wollen, die Gott wütend anschreien, anstatt sich unter Gottes angeblichen Plan zu ducken und schweigend alles zu akzeptieren. Dieses Hadern mit Gott hat Befreiungscharakter. Und es ist erstaunlich, dann wunderbar, dass fast alle ihren Glauben wiederfinden und er sie stärkt. Erika Schuchardt hat ein sehr erschütterndes Buch geschrieben, das dennoch Mut macht, sich selbst, sein Leiden und Leben anzunehmen.